Anfang Juli entschied ich mich spontan den Scott Rock the Top Marathon zu laufen, welcher am 23. Juli 2016 stattfinden sollte. Meine Idee war es noch einen alpinen Marathon mitzunehmen, als Training, Übung und Erfahrung für den Transalpinrun 2016. Ich habe einiges auf dem Zugspitz-Ultra-Trail (ZUT) gelernt, doch die ich wollte gerne noch mehr Erfahrung. So entschied ich mich, erneut in den Süden zu fahren und den Lauf mitzunehmen. Irgendwie freute ich mich über diese Spontanität. Und was soll schon passieren? Ich habe 10:30 Std für 43,6 km Zeit und mache nur 1000 Höhenmeter (Hm) in positiver Richtung mehr und knappe 800 Hm in negativer Richtung weniger als beim 63 km ZUT Supertrail. Dazu noch 20 km weniger und ich brauchte nur knappe 11:20h vier Wochen vorher. Es sollte ein kalkulierbares Abenteuer sein, welches ich schaffen sollte. Er galt zwar als schwerster Marathon Deutschlands und ist wohl einer der schwersten Marathons in Europa, aber das wird schon. Zumindest dachte ich mir das, aber es sollte einiges anders kommen.
Die reinen Fakten:
43,6 km
4175 positive Höhenmeter
2290 negative Höhenmeter
Einlauf auf der Zugspitze.
- Juli 2016
Ich nahm mir einen Tag Urlaub und fuhr nach Ehrwald in Österreich, welches im Zugspitztal lag, wo der Start des Rennens sein sollte. Über 600 Km sollte ein Fahrtweg lang sein. Ich entschied mich diesmal aus verschiedenen Gründen dafür mit dem Auto zu fahren. Am Abend wollte ich rechtzeitig noch kurz nach Garmisch-Partenkirchen fahren. Dort gab es die Pasta-Party, sowie meine Startunterlagen und das Streckenbriefing.
Die Anreise klappte wunderbar. Als ich in Ehrwald ankam, bemerkte ich sogar, dass ich nur knappe 250 m vom Start entfernt meine Pension hatte; welch glücklicher Zufall!
Am Abend holte ich wie geplant meine Unterlagen ab und nahm am Briefing teil. Dort wurde uns gesagt, dass das Ziel vorverlegt wurde auf 42,5 km und einer Höhe von ungefähr 2680 HM. Die letzten gut 250 Höhenmeter, sowie der letzte Km bis ganz hoch auf die Zugspitze wurden nicht mehr als Laufstrecke angeboten. Dies lag an der Wetterprognose die besagte, dass es ab dem frühen Nachmittag starke Gewitter zu erwarten seien und der letzte Kilometer voller Stahlabsicherungen war. Das ist natürlich schade, wurde aber mit einem anerkennenden Applaus der Teilnehmer_innen versehen. Es nun zum dritten Mal in Folge so, dass der Zieleinlauf nicht auf die Zugspitze führte. Ich fand das schade, aber Sicherheit geht vor.
Es wurde am Ende noch einmal betont, dass es sich immer noch um einen vollen Marathon handeln würde. Nach etwas Unterhaltung und einigen Treffen mit bekannten Gesichtern, z.B. den Jungs von exito, fuhr ich zurück in die Pension. Ich setzte mich noch kurz auf den Balkon und blickte hinauf auf die Zugspitze. Welch Anblick für mich. Ich merkte, dass ich immer noch ganz erstaunt von den Bergen bin und es für mich nicht vorstellbar ist, dass ich dort morgen hochlaufen würde.
- Juli 2016
04:30 Uhr – Kein Hunger
„Wieso klingelt nochmal mein Wecker? Wieso ist um 6 Uhr Start und wieso … ach egal. Ich muss aufstehen, keine Zeit zum Meckern.“ Mit diesen Gedanken stand ich auf und aß, ohne wirklich Hunger zu haben. Danach packte ich meinen Rucksack mit der erforderlichen Pflichtausrüstung. Rucksack mit Pflichtgepäck? Ich musste gute 1,5 Liter Flüssigkeit am Körper transportieren können (ich konnte 2,5 Liter transportieren und trug meist 0,5 bis 2 Liter), sowie eine Wärmedecke, Erste-Hilfe-Set, Notfallpfeife, Handy (welches im Ausland funktionieren muss), Langarm-Laufoberteil, lange Laufhose, Regenjacke, Latexhandschuhe für den Notfall, Mützen und Laufhandschuhe und Ersatzakkus. Insgesamt wog mein Rucksack gute 4-5 kg. Diese Ausrüstung wurde für den hochalpinen Bereich benötigt, denn dort kann das Wetter umschlagen und dort liegt auch teilweise noch Schnee. Zusätzlich hatte ich noch Trail-Laufstöcker, eine GoPro und Energieriegel. Ich war dieses Mal weniger aufgeregt, weniger fokussiert, sondern vorwiegend müde, als ich die Pension verließ und zum Start ging.
05:35 Uhr – Einchecken
Ich stehe vor dem Startblock und muss einchecken. Beim Einchecken wird geprüft, ob ich meine gesamte Pflichtausrüstung dabei habe. Dort steht wirklich Jochen von exito und begrüßt mich, wie er es beim Briefing versprochen hatte. Jochen lernte ich auf dem Zugspitz-Ultra-Trail kennen. Ich versprach ihm, dass wenn er kommt, ich zumindest seine Firmenseite liken würde. Dass ich ihn sogar noch hier erwähne, weiß er nicht, aber ich bin ihm wirklich dankbar dafür, dass er kam. Ich kannte sonst niemanden an diesem Morgen und es war verdammt nochmal kurz nach halb sechs an einem Samstagmorgen!
06:00 Uhr – Kein Fokus beim Start
Ich gehe mental noch einmal die Zwischenzeiten und das grobe Profil durch. Im Endeffekt habe ich 10 Stunden und 30 Minuten Zeit für den Marathon. Der Startschuss ertönt pünktlich und es geht los. Welches Abenteuer liegt wohl heute vor mir?
Es geht sofort nach links und direkt danach rechts und gucke das erste Mal auf meine Uhr und stelle entsetzt fest, dass ich gar nicht auf Start drückte, geschweige denn ihr mitgeteilt habe, dass ich laufen möchte mit einem vorgegeben GPX Track. Dies bestätigte mich sofort, dass ich weniger fokusiert war. So starte ich die Uhr und warte auf das GPS Signal. Nach einer knappen halben Minute findet er das Signal und ich drückte auf Start. Auf der Uhr war die Strecke gespeichert, was ebenfalls Pflicht ist, wenn man keine Karte mitführen möchte.
„Ach was soll‘s“, denke ich mir. Ich laufe ja nicht auf Zeit, sondern für die Freude und den Spaß. Ich sollte grob bei 9 Stunden rauskommen. Was machen da schon die paar Minuten, die ich vergessen habe? Nichts! 🙂
Km 2 – Warmlaufen
Die ersten zwei Kilometer gingen leicht bergab und gerade aus. Wir liefen auf Forstwegen und Straßen. Irgendwann betraten wir einen Pfad und damit die erste Steigung. Der Pfad wurde nach kurzer Zeit sofort zu einem Single-Trail, also einem Pfad der nur so breit ist, dass man hintereinander laufen kann. 1000 Höhenmeter sollten nun erklommen werden.
Km 5 – Wow
Wow! Einfach wow. Dieser Ausblick ins Tal, bei strahlend blauen Himmel, war einfach wunderbar; dazu noch die leichten Wolken die über dem Tal hangen. Das gab mir Kraft und ich ging weiter berghoch.
Km 12,5 – Alles lief nach Plan
Nach 2 Stunden und 15 Minuten erreiche ich grob den Verpflegungspunkt (VP) 1. Was lag seit Km 5 hinter mir? Nach dem erklimmen von 1000 Hm mussten diese wieder abgestiegen werden. Der Gipfel lag auf ungefähr 1800 Höhenmeter. Der Aufstieg fiel mir leichter im Vergleich zum Abstieg, wo ich erneut viele vorbei lassen musste. Ich stürzte auch bei einem Bachlauf einmal, aber es passierte zum Glück nichts ernsthaftes. Ich war froh, so früh den VP 1 erreicht zu haben. Ich lag nun 45 Minuten vor dem Cutoff, was ein gutes Polster schon darstellte. Ich wollte natürlich entspannt laufen, aber ich wollte nicht disqualifiziert werden. Ich lief aus dem VP 1 raus und konnte erst einmal knappe 3 Km voller Laufreude verbringen. Es ging leicht rauf, leicht runter und mir gefiel das. Bis zum VP 2 wurden zwar Höhenmeter gesammelt, doch es gab nicht den Berg zu besteigen. Mir gefiel der Streckenabschnitt.
Km 18 – Drama, Stufe 1 von 4
Und irgendwann, rückblickend betrachtet, fing das Drama an. Wenn ich einen Wendepunkte benennen müsste, dann bei Km 18, gute 4 Km vor dem VP 2. Es war ein gut ausgebauter Forstweg, der zudem relativ flach war. Mein Plan war es diesen zu laufen, aber ich tat es nicht. Ich konnte es nicht. Ich war total fertig und hatte zum ersten Mal in meinem Leben ein intensives Gefühl von „Ich steige aus und gehe DNF (Did Not Finish). Das ist mir zu viel. Ich möchte nicht mehr.“
Ich beschloss, dass ich sowieso noch zur VP 2 müsste und dass ich bis dahin erst einmal gehen würde. Danach wollte ich gucken, ob es mir immer noch so mies geht.
Km 22 – Der Dickkopf
Manchmal bin ich ziemlich dickköpfig, so auch, als ich VP 2 erreichte. Wir hatten knappe 5 Stunden Zeit gehabt, um hierhin zu kommen und ich war nach knapp 3:50h dort endlich angekommen. Somit hatte ich gute 1:10h Vorsprung vor dem Cutoff. Ich wusste, dass nun ein langer und harter Anstieg, von erneut gut 1000 Höhenmeter, vor mir lag. Laufen war also sowieso nicht drin, und das Gehen funktionierte. „Ach was soll‘s, ich gehe einfach weiter! VP 3 lege eh viel näher an meiner Pension.“ Ich habe für die nächsten 10 km mit 1000 Hm hoch und 500 Hm runter gute 3 Stunden Zeit, plus eine Stunde die ich noch vor dem Cutoff bin. Insgesamt waren das also fast 4 Stunden. Das wird schon werden. Ich füllte meine Vorräte auf und ging los.
Km 25 – Der unbekannte, nette Herr
Der Gipfel war erreicht. 3,5 Km, 1000 Hm, permanent über 30 Prozent Steigung. Dieser Anstieg war wirklich anspruchsvoll und zum Ende hin technisch. Auf halber Strecke musste ich mich hinsetzen und eine Pause machen. Jeder Läufer und jede Läuferin, die vorbei kamen, fragten mich, ob alles in Ordnung sei. Ich antwortete: Mir ginge es gut, ich brauche nur eine Pause. Ich genoss dabei die Aussicht und erkannte, dass da unten irgendwie VP 2 sein musste. Ich lächelte und erholte mich. Nach guten 5 Minuten brach ich wieder auf.
Ein langer und harter Weg lag noch vor mir, bis ich endlich oben ankam.
Als ich oben ankam, lernte ich auch einen unbekannten, netten Herrn kennen, der schon viele Ultras lief. Alleine in diesem Jahr lief er die 70 km beim Rennsteig erfolgreich. Er lief noch weitere Ultras in diesem Jahr, aber die habe ich mir nicht behalten können. Er machte auf der Spitze dieses Anstieges ein Foto von mir und wir quatschen noch ein wenig. Da ich den Downhill teilweise laufen konnte, denn er war mir nicht zu steil, sah ich Eindrücke und Bilder, die mich dafür belohnten, dass ich dank meines Dickkopfes weiter gelaufen war. Ich war erneut sehr sprachlos über das, was ich an Eindrücken wahrnahm. Alleine in der Ferne die Zugspitze zu sehen, erfreute mich, aber beängstigte mich gleichermaßen. Da sollte ich gleich noch rauf? Es ging mir wieder besser, denn mein Tief hatte ich endlich überwunden. Ich war etwas später wieder alleine, da beim Downhill entweder viele mich überholten und vorliefen.
Km 30 – Die Dame mit den pinken Haaren
Nach dem Downhill, ca bei Km 27 gab es einen flachen Abschnitt der sich bis zum VP 3 hinziehen sollte. Dieser flache Abschnitt begann mit einem tollen See, denn man schon von der Höhe aus sehen konnte. Der flache Abschnitt selbst sollte ungefähr bei Km 32 sich befinden. Erst liefen wir an einem Teich vorbei und danach ging es in einen Waldabschnitt. Ich lief recht zügig und holte den unbekannten, netten Herren wieder ein, denn der ging. Er meinte, er hätte noch genug zum Cutoff und wolle sich nicht stressen. Ich nickte und meinte, dass es mir gerade gut ginge und ich deswegen etwas Tempo machen würde.
Kurz nach dieser Szene kam direkt eine Weitere. Vor mir lief eine Dame mit pinken Haaren. Das erste Mal fiel sie mir bei der VP 1 auf, wo sie mich überholte und ich sie kurz danach. Beim 2. Aufstieg war sie dicht hinter mir und nun durch den Downhill wieder vor mir. Berichtenswert macht diese Dame folgende Situation. Wir laufen auf einer Höhe von 1500 m. Sie lief ungefähr 50 m vor mir bis sie plötzlich freudig schrie. Am Wegesrand traf sie zufällig (!) Bekannte, welches durch Sätze wie „Was machst du denn hier?“ – „Ich lauf einen Marathon“ bekräftig wurde. Als sie sich wieder losriss und weiterlief, liefen wir nebeneinander. Durch das laute Reden, verstand ich auch Wortfetzen, die mir zeigten, dass sie nicht beim Briefing war. Ich sprach sie darauf an und sie bejahte, dass sie nicht da war. Ich zeigte auf die dunklen Wolken rund um die Zugspitze und das es Gewitter geben würde und fragte weiter, ob sie wissen würde, was zu tun sei. Als sie dies verneinte, klärte ich sie über die Sicherheitsmaßnahmen und potentiellen Hütten und allgemeinen Gefahren des nächsten Streckenabschnitts auf. Sie bedankte sich und wir verabschiedeten uns kurz vor der VP 3. Doch das war nicht das letzte Mal, dass wir miteinander sprachen.
Km 32 – Drama Stufe 2 von 4
Ich erreichte den VP 3 bei km 32 nach gut 6:45h. Ich hätte 8 Stunden Zeit gehabt. Ich hatte nun bis zum Cut-Off 1:15 mir heraus gelaufen. Ich freute mich und fühlte mich gut. Ich schnackte mit verschiedenen Leuten und füllte meine Vorräte für den letzten Anstieg auf. Ich lachte, scherzte mit anderen. Die heitere Situation endete plötzlich, als folgender Dialog entstand:
Eine Helferin: „Du hast keine 1:15 mehr bis zum Cutoff. Du hast nur noch 5 Minuten.“
Ich: „Aber ist die Durchgangszeit nicht bei 8 Stunden?“
Helferin: „Doch, aber das Gewitter zieht früher auf. Wir schließen vorzeitig. Wenn du unsicher bist, geh zum Streckenchef. Der steht dort vorne am Auto.“
Ich ging zum Auto.
Ich: „Hallo Streckenchef. Wie ich habe nur noch 5 Minuten bis ihr schließt? Bitte informiere mich, damit ich für mich eine Entscheidung treffen kann.“
Streckenchef: „Das stimmt. Du darfst jetzt noch los, aber ich schließe gleich. Das Gewitter zieht auf und ihr müsst in 60 Minuten an den Gatteln vorbei sein.“
Ich: „Das waren die Steilseile?“
Streckenchef: „Genau. Die fungieren als Blitzableiter und es ist zu erwarten, dass der Blitz pro Gewitter dort einmal einschlägt.“
Ich: „Gib mir bitte Fakten, damit ich gucken kann, ob ich das in einer Stunde schaffe.“
Streckenchef: „Klar“. Er holte seine Streckenkarte hervor: „Du musst 3,5 km mit 500 Hm schaffen. Dafür hast du 60 Minuten Zeit. Du MUSST in 60 Minuten da vorbei sein. Ansonsten bist du auf offener Strecke ohne Schutz. Der nächste Schutz nach den Gatteln ist der VP 4.“
Ich: „3,5 km mit 500 Hm in 60 min? Das schaffe ich.“
Streckenchef: „Dann viel Erfolg.“
Ich bedankte mich, schnappte mir meine Trailstöcke und lief sofort los. Keine 5 Minuten später drehte ich mich um und sah, dass nur noch 5 Personen hinter mir waren und dann kam ein riesiges Nichts. Keine weiteren Läufer. Sie hatten VP 3 geschlossen. Wie viele wohl nicht mehr weiter durften? Ob ich wohl im Mittelfeld war oder im hinteren Feld war? Kurz danach verwarf ich den Gedanken und ging weiter. Wir liefen eine Skirampe mit guten 35, 40 Prozent Steigung hoch. Der erste Läufer direkt hinter mir fluchte und wollte schon fast umdrehen, bis er sah, dass hinter ihm keine mehr kamen. Er war verwundert. Ich klärte ihn über mein Gespräch mit dem Streckenchef auf. Er ging weiter. Die Skirampe waren gute 700 m Distanz und gute 300 Hm. Ich dachte dort: Ja nur noch 200 Hm und 2,8 km. Das sollte doch entspannt werden. Doch es wurde nicht entspannt, denn als ich oben ankam realisierte ich, dass ich nicht 500 Hm laufen durfte, sondern 500 Hm absolut. Ich durfte kräftig bergab laufen und sah in der Ferne die nächste Steigung, die nicht viel besser war. Erneut lief ich weiter. Mir kamen viele Wanderer entgegen, die gerade abstiegen. Sie meinten, dass der Weg zu den Gatteln noch gut eine Stunde dauern sollte. Ich sah auf die Uhr und hatte schon 35 Minuten benötigt und war irritiert. Doch ich lief weiter und es ging so weiter. Es ging rauf und runter, und wieder rauf. Und ich sah keine Gatteln. Ich hatte mittlerweile 1:10h auf der Uhr und war im totalen Stress. Ich hatte viele Läufer hinter mir gelassen und war schon sehr zügig, aber ich sah keine Gatteln und ich war schon über die Zeit. Stärkerer Regen setzte ein und es grummelte schon in den Wolken. Ich sah mich nach Tieren um und versuchte zu erkennen, ob diese entspannt waren oder zusammen hockten. Sie hockten nicht zusammen und machten einen entspannten Eindruck. Ich atmete tief aus, da das Gewitter noch etwas weg war.
Irgendwann erreichte ich ein Trupp von der Bergwacht. Ich fragte, wo die verdammten Gatteln waren und sie entgegneten, dass diese da „vorne“ in 200 m seien. Ich lief hin, stützte, stand wieder auf und lief weiter. Ich erreichte die Gatteln und sah auf die Uhr. Ich hatte annähern 1:35h von der VP 3 bis hier hin gebraucht, sagte mir ein Blick auf die Uhr. Ich schaute zum Himmel, es war immer noch dunkel grau, es regnete und grummelte über mir. Ich atmete erneut tief ein und griff nach dem Stahlseil und fing an hoch zu klettern, denn es war eine Kletterpassage. Als ich endlich oben ankam, ließ ich die Gatteln los und sah einen weiteren Trupp von der Bergwacht.
Ich: „Wie sieht es mit dem Gewitter aus?“
Bergwacht: „Das schlimmste liegt hinter uns. Es rauschte an uns vorbei. Wir haben Glück gehabt. Es wird auch langsam wieder heller.“
Ich: „Puh! Das beruhigt mich. Und wie lange ist es noch bis ins Ziel von hier aus?“
Bergwacht: „Ja so knappe 2 Stunden solltest du noch rechnen.“
Ich: „2 Stunden? Die sagten uns an der VP 3, dass es nur 2,5 Stunden sein sollte. Ich hab jetzt schon 1,5 Stunden gebraucht und nun sind es nochmal 2 Stunden?“ Ich blickte auf meine Uhr. 8:30h hatte ich schon absolviert. Das hieße ich kam kurz vor dem Cut-Off rein. Das sollte passen. Auf ging es auf die letzten 5 km.
Direkt bei der Bergwacht, am oberen Ende der Gatteln war die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Österreich. Ich machte fix ein Selfie und ließ mir zeigen, wo die VP 4 in der Ferne war. Die zwei Kilometer bis zur VP 4 sollten auch kaum laufbar sein. Wegen dem Regen, waren die Felsen sehr rutschig und ein zügiges voran kommen schien kaum möglich. Da wurde ich von Dirk überholt, den ich vorher noch nicht kannte. Er rief mir zu, er habe einen Lauf und es würde rollen. Ich wünschte ihm viel Erfolg und das er es zügig und Gesund bis ins Ziel schaffen möge. Er meinte, dass ich ihm am Berg sicher wieder einholen würde. Dies dementierte ich, da das nur noch entspannt nach Hause bringen wollte.
Irgendwann erschient das „noch 5 km“-Schild und wusste, jetzt sind es nur noch 4 km, da sie ja das Ziel um einen Km vorverlegt hatten und erreichte kurz nach dem „noch 4 km“ die VP 4.
Km 38 – Drama Stufe 3 von 4 oder die falsche Annahmen
Die Jungs von der VP 4 fingen schon langsam an abzubauen, als ich eintraf. Ich schnacke neben dem auffüllen und meinte: „Ich hab jetzt 9:15 auf der Uhr, also noch 1:15 bis zum Cutoff und nur noch 3 km. Das klingt doch machbar.“ Worauf ich sofort folgende vernichtende Antwort vom Helfer erhielt: „Nein es sind noch 4 km, dass Stand ja eben auf dem Schild dort vor der VP.“
Ich: „Ja aber ihr habt das Ziel doch einen Kilometer vorverlegt.“
Helfer: „Das stimmt, aber wir haben auch heute Morgen alle Schilder neu ausgerichtet.“
Ich: „Das heißt, ich habe noch 1:15h für 4 km? Okay es soll ja nur noch bergauf gehen, aber das klingt doch trotzdem machbar.“
Helfer: „Und wie kommst du auf noch 1:15h?“
Ich: „Na der Zielschluss ist doch um 16:30 Uhr. Wir haben doch 10:30 Uhr für den Lauf Zeit.“
Helfer: „Das ist wohl eine Fehlinformation. Zielschluss ist um 16:15 Uhr und damit auch der Cutoff.“
Ich: „Nicht im ernst. Ich bin fest davon überzeugt gewesen, dass er bei 10:30 Uhr liegt. Verdammt, ich muss los. Das ist ja annähernd unmöglich. Danke für alles“
Ich griff meine Stöcker und lief sofort los. 4 km, über 400 Hm in weniger als einer Stunde? Wie sollte ich das nur machen? Es war felsig, rutschig und Wanderer kamen einen entgegen, die einen zwangen hin und wieder kurz stehen zu bleiben. Jetzt sah alles danach aus, als wenn ich es nicht mehr schaffen sollte.
Ich gab alles auf dem Weg nach oben, holte jede Kraftreserven hervor. Ich ärgerte mich insbesondere über mich selbst. Ich ließ mit anderen Läufern meinen Frust raus. Wir fragen einander, ob wir es noch schaffen, ob sie wohl länger das Ziel offen lassen würden oder um diese über 10 stündige Belastung wohl für nichts war. Nichts bedeutet hier keine Medaille und kein Finisher Shirt. Dann kam es, dass noch 3 km Schild. Ich sah auf meine Uhr und es waren 9:35 Stunden vergangen. Noch 40 Minuten und noch 3 km. Bei meinem aktuellen Tempo war ich erst nach 10:35 Stunden drin. Wie sollte das nur werden? Es ging weiter steil den Berg hinauf. Einige Läufer überholten mich, andere überholte ich dafür. Alle fluchten und kämpften, keiner wollte aufgeben. Aber man spürte bei den meisten den Druck des Cutoffs.
Dann erschien das „noch 2 km“ Schild. 9:52h hatte ich nun auf der Uhr. Ich war etwas schneller geworden, doch mir blieben nur noch 23 min für diesen Abschnitt. Endlich kam ich auf einer Kuppel an und sah, dass es etwas runter ging. Dort stand ein weiterer Trupp der Bergwacht: „Ja gut so! Seht ihr da vorne den kleinen Hügel? Von hier bis dahin und noch einmal genau die gleiche Strecke. Dann habt ihr es. Super!“
Ich lief, wo ich laufen konnte und ich ging sehr schnell wo ich es nur noch konnte, wie auf dem sehr glattem Schnee. Wir waren mittlerweile auf 2600 Meter Höhe angekommen. Vor mir erschien wieder Dirk. Ich sollte ihn doch noch einholen? Sollte er recht behalten?
Km 41 – Maximales Drama und Stufe 4 von 4 – Die Erkenntnis eines Irrtums
Und dann überholte ich Dirk, der eine Läuferin begleitete, kurz vor dem „noch 1 km“ Schild. Als dieses erschien, sah ich auf meine Uhr: 10:08h. Wow! Ich hatte noch 7 Minuten und nur noch ein Kilometer. Das war zwar sehr wenig, aber in anbracht des letzten kleinen Hügels machbar. Ich sammelte noch ein letztes Mal alle meine Kräfte und verlor für einen Moment die vollständige Spannung. „OH NEIN, DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN“, war mein Gedanke und es durchzuckte mich vollständig. Ich hatte beim Start zu spät auf die Uhr gedrückt. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich da verloren hatte. Hatte ich nicht noch gedacht, dass es auf die paar Minuten nicht ankommt? Es kam tatsächlich auf die paar Minuten an. Das kann nicht wahr sein. Solche Rückschläge aus dem Wetter, falsche gespeicherte Informationen oder eben solche Irrtümer warfen mich immer wieder moralisch zurück und ich fragte mich, ob irgendjemand mich ärgern wollte. Diese Folge von Gedanken durchzuckte mich nur wenige Sekunde. Alles wirkte wie ein schlechter Roman, der jedoch völlige Realität war. Dann trat großer Trotz ein. Mir war plötzlich jedes Risiko egal. Ich holte mir die gesamte Anspannung zurück und lief los ohne mehr anzuhalten. Bergab, danach über den glatten Schnee, auf den letzten Hügel. Alles belief ich vom Tempo meiner 1000m Intervalle, abzüglich der dünneren Luft und der schon vorhandenen Erschöpfung. Ich rannte so schnell ich konnte, ja ich sprintete. Dann hörte ich Musik und erkannte, dass ich um das eine Gebäude komplett rumlaufen musste. In dieser Umrundung sah ich die Dame mit den pinken Haaren wieder, sie feuerte mich an und sah schon umgezogen aus. Ich wollte endlich diese Anzeige sehen, diese verfluchte Anzeige, ob ich es noch im Cutoff schaffe oder nicht. Und dann war der Moment da, wo ich endlich um das Gebäude rum war und sah, dass ich nur noch gute 20, 30 m bis zur Ziellinie hatte. Ich blickte mit einem gemischten Gefühl von Angst und Erwartung auf die Uhr und erkannte folgende angezeigte Zeit: „10:13h“ und ein paar Sekunden. Ich fing unmittelbar anzuschreien und jubeln und bekam mich nicht mehr ein. Ich übertrat die Ziellinie mit einer „10:13:36h (brutto)“ und lag damit 84 Sekunden (brutto) unter dem Cutoff. Hinter der Ziellinie schrie ich weiter und hüpfte und jubelte. Die Moderatoren freuten sich mit. Eine nette Frau hängte mir die Medaille über den Hals und dann kurz nach mir kam Dirk durch das Ziel. Wir schlugen uns ab und dann musste ich erst einmal an den Rand gehen. Ich musste weinen. Der ganze Druck, dass Drama, die immer wiederkehrenden Rückschläge und die Tatsache, dass so viel passiert ist, ich so viel Risiko in Kauf nahm und am Ende dafür belohnt wurde, wühlten mich vollständig auf. Es war sehr knapp, aber ich hatte es geschafft. Ein unbeschreibliches Gefühl und ein nachhaltiges, welches das Thema Cutoff für mich sehr negativ besetzte.
20:00 Uhr – Pasta Party, die 2.
Nach dem Erhalt des Finisher-Shirts fuhr ich per Gondel zurück nach Ehrwald, machte mich frisch und setzte mich auf den Balkon, um etwas zu entspannen. Ich las nochmal die Beschreibung und musste feststellen, dass die CutOff Zeit wirklich nach 10:15h war. Ich weiß bis heute nicht, wie ich zu diesem Irrglauben und Fehlinformation kam, dass ich 10:30h Zeit haben könnte.
Ich beschloss zur 2. Pasta Party zugehen, um ggf. einige Personen zu treffen, die ich kannte für einen Austausch. Dieses Mal war die Pasta Party in Ehrwald und fast nebenan. So ging ich los und traf u.a. Familie Laufs. Ich sah mir zuvor die aufgehängten Ergebnisse an und sah, dass ein knappes Drittel des Feldes bei VP 3 raus genommen wurde. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich traf auch andere Läufer, die bei VP 3 disqualifiziert worden sind. Sie regten sich auf. Keine Medaille, kein Shirt und es gab wohl nur unfreundliche Worte. Die Stimmung war auf dem Boden bei VP 3. Natürlich war es der Lauf, bei dem 2012 zwei Personen an Unterkühlung starben und natürlich wollte man vorsichtig sein, doch die Art der Behandlung sei schlecht gewesen, so der eine Läufer.
Am Ende der Pastaparty entschuldigten sich auch die Veranstalter für ihren Ton bei VP3 und sicherten zumindest die Medaillen zu, jedoch nicht die Shirts. Man erklärte nochmals, wie gefährlich die Situation gewesen sei und das sie kein Risiko eingehen wollten.
- Juli 2016
8:00 Uhr – Andere Blickwinkel
Beim Frühstück in der Pension waren auch andere Läufer anwesend, die allesamt beim VP 3 disqualifiziert wurden. Sie ärgerten sich über die nicht erhaltenen Qualifikationspunkte für den Ultratrail de Monc Blanc, über das Wetter und auch über sich selbst. Sie berichteten davon, wie sie in eine Hütte einkehrten und entspannt was tranken, eben weil sie dachten, sie hätten noch ausreichend Zeit, doch sie passierten die VP 3 gute 15 min nach mir, daher 10 Minuten zu spät und wurden disqualifiziert. Die Läufer berichteten, dass gerade die Läuferinnen besonders viel Druck auf den Streckenleitung bei VP 3 gemacht hatten und viele Tränen flossen. Die Leitung zeigte sich jedoch als hart und schickte alle per Gondel ins Tal. Die Strecke war und blieb geschlossen. Es gab viel Enttäuschung. Auf der anderen Seite berichtete ich, was ich erlebte.
Was für ein intensives Wochenende, was für ein Lauf, was für ein Drama. Die Summe aus körperlicher und emotionaler Erschöpfung brach am Sonntag Abend, als ich sicher zu Hause ankam, über mich ein. Jetzt rückte der Transalpinlauf in greifbarer Nähe. Wie soll ich den nur schaffen?