3. Ballon – A – Thon – Was will man mehr

Ich stehe morgens auf und die ersten Worte, die ich an diesem Morgen von meiner Frau höre, sind: „Ich begleite dich definitiv heute zum Lauf und unterstütze dich. Ich kann im Auto etwas für meine Arbeit machen und zudem mit dem Hund am Wasser spazieren gehen.“ Sie bietet sogar noch an, dass sie fährt. Ich bedanke mich und denke nur: Was wünscht man ich als Läufer mehr? Ich kann mein überraschendes Glück kaum fassen.

So geht es auf zum 3. Ballon – A – Thon mit dem Motto „Sonne und Meer, was will man mehr“

Als Sina und ich ankommen und aus dem Auto aussteigen, startet eine Läuferin gerade und grüßt freundlich und wir ebenso zurück. Ich ziehe mich um und packe meine sieben Laufsachen und gehe zur Zeittafel. Ich warte noch, bevor ich mich auf der Zeittafel eintrage. Es tragen sich gerade drei Herren ein und ich versuche ihnen ausreichend Platz zu lassen. Als sie nacheinander loslaufen, wünschen wir uns viel Spaß.

Der Lauf, 25.04.2020

Zwei Minuten später verabschiede mich von Sina und laufe um 08:41 Uhr los. Es ist kühl und ich entscheide mich erst einmal etwas dicker einzupacken. Armlinge und Weste sollen mich ausreichend wärmen. Ich habe ein mulmiges Gefühl, denn ich letzte Woche hatte ich zum Ende hin sehr zu kämpfen. Es gilt das Motto: „Locker laufen und genießen.“ Eine der beiden Vorsätze hielt rückblickend nicht lange an.

Ich laufe für mich gefühlt locker los. Nach einem Kilometer bin ich schon am Kanal und sehe das Wasser. Es motiviert mich, spornt mich an. Ich schaue auf meine Uhr und sehe eine fünf Minuten pro Kilometer Pace und denke mir…

„Du Idiot bist viel zu schnell. Du wirst wieder zum Ende sehr zu kämpfen haben. Du weißt es doch besser.“ Doch ich habe richtig Lust zu laufen und denke mehr: „Egal, genieß es, solange du kannst. Zudem Sina dabei, die dich mit den richtigen Worten motivieren kann.“ Nach gut zwei Kilometern kommt mir ein Boot entgegen. Ich laufe über die Brücke und dann hinter dem Boot her und denke mir: „Ach so ein Pacemaker-Boot wäre schon nett.“ In diesem Moment wusste ich nicht, dass ich dieses Boot wiedersehen würde.

Es dauert nicht lange bis ich unerwarteterweise den Kanal verlasse und Wegen entlang laufe, die ich sonst wahrscheinlich übersehen hätte. Ich komme schon nach wenigen Metern am Fluss ‚Lippe‘ raus.

Nach gut 5 km laufe ich einem Kraftwerk vorbei. Ein langer, schmaler Weg liegt vor mir und endet auf einer kleinen Straße. Hier kommen mir die ersten Läufer entgegen. Es ist eine angenehme, freundliche Stimmung. Jeder grüßt sich und manchmal folgt ein „Viel Spaß noch.“ Das Gefühl von Zusammengehörigkeit, welches ich schon auf dem 2. Ballon – A – Thon gespürt habe, ist hier direkt wieder spürbar.

Die Zeit und die Strecke verfliegen förmlich. Schon nach 7 Kilometern denke ich, dass sie sehr abwechslungsreich ist. Nachdem ich eine Straße gekreuzt habe, taucht ein Schwanen-/Ententeich neben mir auf. Danach geht es zurück auf den Weg am Kanal. Hier treffe ich die Dame wieder, die startete, als Sina und ich ankamen. Wir reden kurz miteinander über die Strecke und über den Lauf, bis nach einigen Metern wieder jeder sein Tempo läuft. Ich laufe weiter am Kanal entlang. Allerdings schaue ich mehr auf die grünen Flächen und die Lippe als auf den Kanal. Ich mach unzählige Fotos und genieße den Blick in die Ferne.

Es ist schon komisch, als ich dann irgendwann mal wieder zum Kanal meinen Blick schweifen lasse. Mir kommen Läuferinnen und Läufer entgegen, darunter auch Kerstin und Frank, die dem Moment filmen (Ihr Film zum 3. Ballon – A – Thon: https://www.youtube.com/watch?v=9_DlZgMq444 ). Kurz danach erblicke ich das Boot wieder. Es sind jetzt gut 8,5 km in meinen Beinen, als ich das Boot von Kilometer 2 wiedersehe. Mein Pacemaker-Boot. So mag ich es taufen und benennen. Ich gucke auf die Uhr und sehe, dass noch laut GPX-Track eine Zeit lang noch am Kanal laufen werde. (PX-Track: Eine Datei, die die Strecke repräsentiert und mit der meine Uhr mich navigieren kann) Ich habe in diesem Moment einen ziemlich dummen Gedanken, den ich keine zwei Sekunden später genauso dumm umsetze: Ich möchte dieses Boot überholen. Gesagt, getan.

Ich laufe schneller und freue mich über die Challenge des Tages. Erst denke ich, dass ich gerade mal so die Geschwindigkeit von dem Boot halten kann und bin überrascht, dass es mir doch gelingt es einzuholen. Der nächste Gedanke, der mich ereilt ist: „Oh je, die zweite Runde wird wirklich hart werden.“

Ich verlasse den Kanal, denn die Strecke geht rechts ab. Ich laufe an einem Forellenhof vorbei, wo Angler ihrem Hobby frönen. Es geht weiter zwischen grünen Feldern entlang. Ich laufe erneut an der Lippe entlang, über Wiesen und freue mich über diese abwechslungsreiche Strecke. Zwischendurch kommen mir die drei Läufer von der Zeittafel / Start entgegen. Sie laufen entgegengesetzt und folgen der grünen Markierung. Wir tauschen uns kurz aus und merken an, dass die jeweilige andere Hälfte der Strecke schön sein wird. Ich freue mich.

Es geht über die zweite Brücke und wieder zurück in Richtung von Start und Ziel. Ich stelle mich auf einen langen Lauf entlang des Kanals ein, bis plötzlich ein Pfeil nach rechts weist und ich eine Treppe hinunterlaufe. Es folgt ein kleiner Pfad, der mich direkt in einen Wald führt. Es offenbart sich eine kleine Waldrunde, in der ich über einen Hügel steigen darf und über eine Wiese weiterlaufen kann. Am Ende der Waldschlaufe sehe ich Jan-Philipp. Ich bedanke mich bei ihm für die wieder tolle Streckenempfehlung.

Es geht wieder zurück an den Kanal und erneut denke ich: „Jetzt wird es nur den Kanal entlang gehen. Halb in diesem Gedanken versunken, kommt mir ein Läuferduo entgegen. Die meinen zu mir, ich bräuchte doch nicht so schnell rennen. Mir fällt in dem Moment keine Antwort ein. Okay, ich bin zügig, aber ich fühle mich wohl und freue mich daran so zu laufen, wie ich es mag. Nach knapp 19 km geht es zu meiner Überraschung vom Kanal weg und wieder in den Wald.

Hier kommen mir einige Läuferinnen und Läufer entgegen, sowie auch zwei Fahrradfahrerinnen, die einen Läufer begleiten. Es ist teilweise eng, doch es geht irgendwie. Als ich den Waldabschnitt verlasse, habe ich schon 20,5 km auf der Uhr und weiß, gleich bin ich wieder bei Sina.

Als ich das Auto erreiche, ziehe ich meine Weste und Armlinge aus. Es ist mittlerweile warm geworden. Da ich letzte Woche am Ende ohne Wasser dastand, nehme ich dieses Mal 1,5 Liter mit. Zwei Flaschen trage ich vorne am Rucksack und nochmal eine weitere Flasche im Rucksack. Ich befürchte vor allem, dass es zudem nun schwer wird, bei den Dummheiten der ersten Runde. Lieber habe ich diese Woche lieber zu viel als zu wenig Wasser dabei. Hedda, unsere Hündin freut sich zudem sehr, dass ich wieder da bin. Sie bekommt auch eine kurze Kuscheleinheit. Nachdem ich für die zweite Runde bereit bin, laufe ich zur Zeittafel und sehe erneut Frank und Kerstin und bitte Sie um ein kurzes Selfie. Ich bemerke erst später in ihrem Film, dass sie das alles aufgenommen haben. Ich musste mir dann das Foto in Ruhe ansehen und erkenne jetzt nun deutlich, dass die Kamera zu sehen ist.

Es geht weiter zur Zeittafel und trage mich nun ein. Dann laufe kurz zu Sina zurück und starte in die zweite Runde mit der Zusage, dass ich bemüht sein werde, dass diese schneller als die erste sein wird, damit sie nicht so lange warten muss. Dann denke ich mir, dass die Aussage sehr gewagt und wahrscheinlich dumm war. Nun habe ich aber einen Grund mehr zügig zu laufen.

Für die zweite Runde folge ich der grünen Markierung und verlaufe mich direkt. Das könnt ihr unten in der eingebetteten Aufzeichnung sehen. Es ist eher ein kleiner Umweg, aber sicher keine Abkürzung, sondern mehr so ein paralleler Weg, den ich für 200 m ca. folge. Ich überlege kurz Querfeld einzulaufen, entscheide mich aber dagegen und werde mit einem Pfad zurück auf die reguläre Strecke belohnt. Erst geht es durch den Wald, dann geht es zurück an den Kanal.

Am Kanal kommt mir die Dame entgegen, die gestartet ist, als ich ankam. Wir reden kurz noch zwei Sätze miteinander und wünschen einander abschließend einen schönen Tag. Sie wird somit gleich ihre Runde beenden. Danach kommen noch vereinzelte Läuferinnen und Läufer mir entgegen. Es folgt die Waldrunde, wo ich einen Läufer treffe und ihn passiere.

Es folgt der Erdhügel, den ich diesmal von der anderen Seite erklimmen darf und kurz darauf die Treppen… *seufz* Treppen … Wenn ich eine dritte Runde angehen würde, hätte ich heute die orange Richtung gewählt, nur damit ich die Treppen hinuntergehen kann. Nach gut 28 km sehe ich meine dritte Brückenüberquerung vor mir. Ich laufe auf die Brücke und mache in Ruhe Fotos. Mir fällt hier auf, dass sich auch langsam die Wolkendecke ein klein wenig öffnet und es sonniger wird.

Es geht von der Brücke runter und wieder die Wiese entlang. Hier treffe ich den Läufer mit den zwei Damen auf dem Rad wieder. Wir unterhalten uns kurz und er berichtet, dass er heute einen Marathon laufen möchte. Ich wünsche ihm viel Erfolg und unsere Wege trennen sich wieder. Ich schaue auf die Uhr. Wenn ich mein Wort gegenüber Sina halten möchte, muss ich um 12:38 Uhr wieder an der Zeittafel sein. Nach aktuellem Stand muss ich dafür jeden Kilometer in unter 5:30 min pro Kilometer laufen. Ich entschließe mich mit der Natur, um mich herum abzulenken.

Ich passiere die 30 km. Wieder kommt es mir so vor, als wenn ich teilweise durch ein Idyll laufe. Ich bleibe häufig mit meinem Blick in der Landschaft hängen und verfalle in Gedanken. Ich merke, wie sich die Vorfreude auf diese Laufempfehlung, sich gerade in Energie umsetzt. Letzte Woche, beim 2. Ballon – A – Thon, saß ich bei Kilometer 30 auf einer Bank und seufzte, dass mein Wasser ausgeht und merkte, dass ich erschöpft war. Heute renne ich förmlich dahin. Ich frage mich selbst, wieso der Kontrast so stark ist.

Eine Antwort darauf, die mich selbst überzeugt, finde ich nicht. Ich akzeptiere es einfach, wie es ist. In dem Moment sehe ich, wie ich erneut an dem Forellenhof vorbeikomme. Diesmal bleibe ich stehen, stelle mich so hin, dass man etwas sehen kann und mache ein Foto davon. Ich drehe mich wieder in Richtung der grünen Markierung um und folge dem Streckenverlauf.

Vor mir laufen zwei Damen, die am Ende des Weges ankommen und nun den Kanal vor sich haben. Ich erkenne, dass sie sich fragen, wie es nun lang geht. Da ich nur noch 15 m hinter ihnen bin, rufe ich einfach „Links“. Sie bedanken sich und ich wünsche ihnen noch einen schönen restlichen Lauf.

Als meine Uhr zum 33. mal piept, zücke ich mein Handy und schicke Sina eine Sprachnachricht. Es seien nur noch 10 km und ich wäre bald wieder bei ihr. Ich passiere Läuferinnen und Läufer und wir unterhalten uns kurz. Ich werde nach dem Lauf Sina berichten, dass ich viel öfter Gespräche / Unterhaltungen in der 2. Runde geführt habe, als in der ersten Runde. In der ersten Runde war es oft noch ein Grüßen. Unterhaltung ist vielleicht nicht das richtige Wort, waren es doch meist nur 4-5 Sätze.

Es geht wieder an dem Schwanenteich vorbei, weiter auf dem Straßenabschnitt, der dann auf dem Singletrail entlang des Kraftwerkes entlangschlängelt. Ich warte auf den Moment, wo ich einbreche, wo ich mich schlecht fühle oder dass mein Wasser ausgeht, doch all dies tritt heute nicht ein.

Auf diesem Abschnitt sehe ich viele weitere Läuferinnen und Läufer wieder, die ebenfalls auf der zweiten Runde sind, oder mich von Anfang ihrer ersten Runde sahen. Ich höre, dass ich ja schnell unterwegs sei oder ob ich noch eine zweite Runde Laufen wollen würde. Das empfinde ich als schönes Kompliment. Ich antworte, dass ich wirklich schon in der zweiten Runde bei Kilometer 37 sei und mich auf das Ziel freue. Auch nach dieser Phase finde ich es bestätigend, dass es viel mehr Unterhaltungen gibt. Wieder denke ich an letzte Woche zurück und finde immer mehr, dass sich immer mehr nach Gemeinsamkeit in der Einsamkeit sehnen. Ich finde das schön und aufbauend oder gar etwas tröstend. Es stärkt mein Gefühl von Normalität, wo es keine gibt.

Ich sehe einen Angler an der Lippe, der einfach sein Ding macht. Ich folge dem Weg weiter. Ein letztes Mal bleibe ich an der Lippe stehen, genieße den Moment und mache Bilder. Die Sekunden nehme ich mir. Ich atme tief ein und aus und laufe weiter zum Kanal. Mental beginnt nun der härteste Abschnitt. Als ich am Kanal entlang laufe, sehe ich den Ausgang zum Ziel. Ich muss aber erst noch einen guten Kilometer zur letzten Brücke des Tages laufen, um dann auf der anderen Seite zurückzulaufen. Hier hilft mir der Gedanke sehr, dass ich Sina sagte, dass ich bemüht sei, die zweite Runde schneller zu laufen. Ich merke, dass seitdem ich 40 Kilometer in den Beinen habe, müde werde. Ich beiße aber die Zähne zusammen. Ich sehe auf die Uhr und weiß, dass wenn ich es nun locker durchlaufe, mein Wort halten kann. Wenn ich jedoch nun zügig laufe, könnte ich sogar noch eine ordentliche Zeit für mich herauslaufen. Ich mag dumme Ideen. Es ist nun ein Mix aus Ehrgeiz und Willen. Dieser fehlte mir letzte Woche völlig.

Als ich auf der anderen Seite bin, sehe ich zwei der Läuferpaare wieder, die ich zuvor passierte. Ich winke ihnen zu und sie winken zurück. Erneut bleibe ich jeweils kurz stehen und fotografiere sie aus der Ferne. Nicht immer bin ich schnell genug, das Winken noch auf das Bild zu bekommen.

Als ich sehe, dass ich noch 1,5 km vor mir habe, spreche ich erneut eine Sprachnachricht für Sina ein und sage ich, dass ich es schön finden würde, wenn sie bei den Zeittafeln stehen würde, um mich zu empfangen. Dann starte ich meinen Endspurt.

Ich lasse meinen Blick ein letztes Mal über den Kanal schweifen und biege dann ab, um zu den Zeittafeln zu kommen. Auf der „Zielgeraden“ läuft mir Jan-Philipp entgegen. Er ist am Anfang seiner erneuten dritten Runde. Wir grüßen uns und wünschen uns alles Gute. Ich sehe Sina sowie Hedda und laufe an ihnen vorbei. Ein Läufer kommt mir entgegen und schaut mich irritiert an, als ich voller Freude juble, als ich die Uhr am rechten Board erblicke. Doch bevor ich irgendwas schreibe oder Weiteres sagen kann, muss ich mich erstmal ausruhen und gehe einige Meter. Ich habe mein Wort gegenüber Sina einhalten können und erhalte dafür erst einmal einen Kuss. Dann gehe ich zur Zeittafel und trage die Zeit ein: 12:30 Uhr. Ein Marathon-Finish nach 3:49 Stunden.

Es war wieder eine tolle Streckenempfehlung. Ich habe den Lauf und den Tag richtig genossen. Ich habe mich gefreut wieder Menschen zu sehen, die ich eine Woche zuvor gesehen habe und auch neue Gesichter und Menschen kennenzulernen. Und am meisten, freue ich mich, dass Sina dabei war, trotz ihrer Umstände.

Was will man mehr.

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