Vor einem Jahr schrieb ich über den Schloss Marienburg Marathon 2017. Dieses Jahr gibt es noch einen Bericht über diesen Lauf. Es ist einiges passiert bei meiner zweiten Teilnahme und daher lohnt ein neuer, kurzer Bericht. Doch fangen wir vorne an.
24. November 2018 – Vor dem Start
Sina und ich fahren früh morgens aus Bielefeld los. Wir starten beide erneut über die volle Marathondistanz und wir beide sind nicht wirklich erholt. Es ist genau vier Wochen her, wo ich zum zweiten Mal den Röntgenultra über 63,3 km lief und Sina den Röntgenmarathon absolvierte. Über den Sinn oder Unsinn dieser Teilnahme könnte man nun diskutieren. Doch der innere Wunsch erneut zu starten ist einfach größer. Sagen wir einfach, dass Traditionen sich nicht aus dem Nichts entwickeln und die Teilnahme am Schloss Marienburg Marathon eine schöne Tradition werden kann.
Auf der Hinfahrt schwelgen wir etwas in Erinnerungen. Vor genau einem Jahr liefen wir gemeinsam diesen Marathon. Seite an Seite. Es war unser erster gemeinsamer Marathon und vor allem war es ihr Erster überhaupt. Seit dem ist viel passiert. Sina ist viel erfahrener im Laufen geworden, denn das wird jetzt ihr vierter oder fünfter Marathon. In einem Jahr! Je nachdem, ob man den Lichtenstein Marathon über 45 km und 2000 Höhenmeter schon als Ultralauf werten möchte.
Wir werden dieses Jahr nicht Seite an Seite laufen. Jeder wird in seinem Wohlfühltempo laufen. Das ist zumindest unser Plan. Als wir ankommen, kommt in mir eine große Vorfreude auf. Wir treffen Sven wieder, der hier ebenfalls vor genau einem Jahr seinen ersten Halbmarathon lief. Dieses Jahr hat er jedoch viele weitere, teils auch neue Lauffreunde mitgebracht. Ich freue mich, merke aber auch, wie ich etwas aufgedreht bin. Irgendwie wird mir das im Nachgang leidtun. Zumindest für alle jene, die mich da kurz vor dem Start ertragen mussten.
Sina und ich gehen zum Start. Wir sehen einige von Sven Lauffreunden, aber Sven selbst leider nicht. Ich bedauere das, doch der Startschuss fällt und ich drücke auf meine Laufuhr den Startknopf. Ein letzter Blick hinter mich ändert an diesem Zustand nichts.
Start – Kilometer 0 – 10 und noch keinen Bericht wert …
Die Halbmarathon- und Marathonläufer_innen starten bei diesem Lauf gemeinsam. Mein Plan ist es diesmal zumindest am Anfang etwas weiter vorne zulaufen. Mir gefiel es letztes Jahr nicht, dass nach gut 2,5 km der Singletrail ein Engpass war und das Tempo für mich sehr langsam war. Zur Erinnerung: Sina und ich liefen an dieser Stelle vor einem Jahr mit einer knappen 7 Minuten Pace pro Kilometer entlang. Ich möchte dieses Jahr es einfach laufen lassen, den Marathon genießen und einfach Spaß haben.
Gesagt, getan. Ich laufe zügig los und habe schnell viel Platz zum Laufen. Ich laufe den Singletrail in meinem Wunschtempo und fühle mich gut. Ich lief an dem Auto mit der lauten Musik vorbei und freute mich und winke den Leuten dort zu. Jeder der den Marathon oder Halbmarathon kennt, weiß ganz sicher, welches Auto ich meine.
Dann geht es hoch zum Schloss. Es ist einfach toll dort zu laufen. Auch, wenn es dieses Jahr leider nebelig und kalt ist. Durch den Nebel haben wir keine so weiten Aussichten und keinen so perfekten Blick wie 2017.
Im Schloss am Verpflegungspunkt mache ich eine kurze Pause. Nichts soll mich stressen und so genieße ich die Atmosphäre bei motivierender Dudelsackmusik und laufe kurz danach weiter. Auch wenn ich gerade zügig und detailarm berichte, lasst mich euch eines sicher sagen: Ich genieße jeden Kilometer. Ich freue mich enorm bei diesem Lauf dabei zu sein. Die Kilometer fliegen an mir vorbei. Es geht im Wald wieder bergab und irgendwann laufe ich wieder auf der Straße, die mich zum Start-/Zielbereich führt. Neun Kilometer stehen als absolviert auf meiner Uhr. Ach, der Lauf ist toll, wunderbar. Bis hier hin ist noch nicht viel berichtenswertes passiert. Doch dann! Bei Kilometer 10 ändert sich der Lauf für mich. Oder anders gesagt: Eine dieser für mich persönlich besonderen Geschichten beginnt.
Kilometer 10 bis 21,1 – „Bin ich hier noch richtig?“
Der Schloss Marienburg Halbmarathon ist von der Strecke her eine 8. Der Mittelpunkt der Acht ist der Start- und Zielbereich. Zur Halbzeit der Halbmarathonrunde passiert man den Mittelpunkt, der gleichzeitig der Start-/Zielbereich ist. Der Marathon besteht aus zweimal der Halbmarathonrunde. Kurz bevor ich nach 10 km beim Start- und Zielbereich durchlaufe, fragt mich ein Läufer: „Sag mal, bin ich hier noch richtig?“ Und ich meinte „Auf jeden Fall. Komm einfach mit mir mit.“ Und er fragte weiter: „Läufst du auch den Marathon?“, und ich bejahte dies. Seit diesem Moment bis zum Ziel werden wir uns nicht mehr trennen. Aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt beide wohl noch nicht.
Nach dem Verpflegungspunkt im Start- und Zielbereich fängt unser Gespräch erst so richtig an. Sein Name ist Christian. Die Harmonie stimmt direkt und wir reden beide sehr viel. Es war lange her, dass ich auf einem „Wettkampf“ mich so viel unterhielt. Es ist lange her, dass die Kilometer so leicht, so schnell vorbeizogen. 15 km, 18 km, 20 km. Wir laufen beide genau dasselbe Tempo. Wir unterhalten uns über unsere Erfahrungen und vor allem Wettkampferfahrungen in unserem Lebensabschnitt. Es geht um die Vereinbarkeit mit Familie, Freunde, Beruf und derlei. Ich könnte jetzt sehr ausführlich darüber berichten, doch das würde wahrscheinlich einen ganz eigenen langen Blogeintrag bedeuten. Um es kurzzufassen: Es ist nie leicht, oft eine Herausforderung und mit der richtigen Partnerin durchaus zu schaffen, sofern sie es mitträgt.
Zwischendurch erläutere ich den nächsten Abschnitt, der vor uns liegt. Christian ist noch gar nicht so lange ein Läufer, aber dafür ist er schon erfahren. Soweit ich beim Schreiben dieser Zeilen mich erinnere, war es sein siebter Marathon.
Wir beenden den Halbmarathon und laufen erneut durch den Start-/Zielbereich. Halbzeit. Diese letzten 11 km waren wie ein Fingerschnippen. Christian, wenn du jemals dies liest: Danke für diese Kurzweil.
Kilometer 21,1 bis ins Ziel
Wir besprechen uns kurz und klären, dass wir erstmal weiterhin zusammenlaufen werden. Ein Blick auf die Uhr offenbart uns, dass wir ungefähr auf eine 3:40h er Zielzeit hinauskommen werden. Dafür, dass ich mich im Tempo wohlfühle, bin ich schon überrascht, dass es eine gute Zeit werden könnte.
Wir liefen weiter. Die zweite Runde ist erfahrungsgemäß sehr viel ruhiger und einsamer, weil nun nur noch die Marathonläufer unterwegs sind und dazu kommt noch, dass das Feld mittlerweile sehr langgezogen ist. Als wir den Hügel zum ersten Singletrail hoch Laufen, kommt uns der Gesamt Erste Läufer entgegen. Wir klatschen und bejubeln ihn. Er freut sich und winkt zurück. Christian und ich reden weiterhin viel und das Gespräch wird immer persönlicher, was ich tatsächlich als sehr angenehm empfinde. Ich fühle mich wohl und das ist irgendwie ja das Wichtigste. Das bestärkt mich wohl auch in der Leichtigkeit, die ich gerade beim Laufen empfinde.
Was Christian und ich da besprechen ist und bleibt zwischen uns. Das Internet muss nicht alles erfahren und eben weil es auch persönlicher geworden ist, denke ich, wird das jeder verstehen. Das einzige, was ich erwähnen möchte ist, dass er ein wirklich interessanter Charakter ist, mit einer bewegenden Geschichte und einem harten Schicksal.
Wir biegen in den Wald ein und laufen im Singletrailabschnitt hintereinander. Irgendwann verlassen wir den Wald, passieren das Auto mit der lauten, doch motivierenden Musik. Es passiert nicht viel bis wir das Schloss betreten, außer eben, dass wir ohne Pause uns unterhalten. Wir essen und trinken kurz und verlassen das Schloss zum zweiten und letzten Mal an diesem Tag.
Kurz nach dem Schloss überholt uns eine Frau mit einem „100 Marathon Club“ T-Shirt. Ich frage sie, der wievielte Marathon es heute sei. Sie dreht sich zu mir um und sagt mit einem lächeln nur eine Zahl: „354.“ Wir beide bekunden unseren Respekt und Anerkennung. Dann läuft sie weiter.
Als wir den Wald wieder verlassen, kommen uns viele Läuferinnen und Läufer entgegen, die gerade dabei sein, in den Wald rein zu laufen. Wir applaudieren jeden, der uns entgegenkommt und viele freuen sich, klatschen zurück. Ich mag diese Stimmung, dieses gegenseitige Anfeuern. Jeder macht sein Ding und doch haben wir alle das gleiche Ziel. Ich mag diesen Zusammenhalt, dass das Fremde kein Hindernis sein muss. Christian und ich sind hier wohl ein gutes Beispiel an diesem Tag. Wir unterhalten uns weiter.
Wir passieren zum dritten Mal den Start-/Zielbereich und somit sind gute 31 Km absolviert. Wir trinken kurz und laufen weiter. Christian betont zu diesem Zeitpunkt, dass er gerne auf 3:40h rauskommen möchte. Denn wir sind immer noch auf Kurs dieser Zielzeit.
Ab km 36 enden unsere Gespräche. Es ist nicht so, dass alles gesagt und erzählt ist. Ich werde einfach nur müde. Wäre ich alleine gewesen, dann hätte ich nun das Tempo gedrosselt. Doch Christian motiviert mich weiter das Tempo zu halten. Auf meinen Vorschlag hin, ob er nicht einfach sein Tempo durchlaufen wolle, meint er nur: „Wir beenden es gemeinsam.“ Also lief ich weiter das ordentliche Tempo. Ich merke nun doch eine Ermüdung und sei es vom Ultra den ich ja vor vier Wochen lief. Und so laufen wir weiter. Mal schweigsam nebeneinander, mal in einem kurzen Gespräch.
Km 38. Km 40. km 41,7. Der Lauf war immer noch sehr kurzweilig. 500 m vor dem Ziel. Christian: „Hast du Lust auf einen Abschlusssprint?“ – „Ne. Lauf einfach. Wir sehen uns sofort im Ziel.“ „Alles klar. Bis gleich.“ Er sprintet los. Mir fehlt heute die Lust, die Kraft ihm das gleichzutun. Ich trabe entspannt ins Ziel, knappe 20 Sekunden nach ihm mit einer 3:43h auf der Uhr. Wir klatschen uns ab, beglückwünschen uns. Dann ist da dieser seltsame Moment, den ich nur schwer beschreiben kann. Da verbringt man fast 3 Stunden mit einem wildfremden Menschen und führt ein tiefes, gutes Gespräch mit ihm und dann verabschieden wir uns. Ein wirklich seltsamer Moment. Ich trinke noch kurz etwas und hole schnell meine Tasche, um zu duschen.
Im Ziel – Nach dem Lauf
Normalerweise würde hier der Bericht nun enden. Doch ich nehme euch noch kurz mit in die Umkleide. Ich setze mich auf einen freien Platz und ziehe mich aus, um zu duschen. Dabei unterhalten sich zwei Männer sehr angeregt und diesen Dialog, soweit ich mich daran erinnere, möchte ich euch einfach zum Abschluss, unkommentiert auf euch wirken lassen.
Mann 1: „Dein wievielter Marathon war es?“
Mann 2: „741. Ich will aber dieses Jahr noch auf 750 kommen.“
Mann 1: „Nächste Woche ist doch schon Dezember. Wie willst du das schaffen? Vor allem die Weihnachtszeit ist doch immer so stressig.“
Mann 2: „Ich weiß. Nächstes Wochenende will ich nochmal zwei machen. Danach die Woche schaffe ich nur einen. Ich hoffe aber, dass ich zwischen Weihnachten und Silvester 3-4 schaffe. Dann sollte es hinhauen.“
Mann 1: „Das klingt alles recht eng. Ich wollte dieses Jahr nur noch 4 Marathons laufen.“
Mann 2: „Ja, die schafft man ja gut.“
Mann 1: „Genau. Jedes Wochenende einen.“
Nach dem Duschen trafen Sina und ich uns wieder. Sie lief den Marathon ebenfalls schneller als vor einem Jahr. Sie war müde, aber doch glücklich, dass sie es den Lauf erfolgreich beendet hatte.
Später hörte ich von Sven, dass er ebenfalls den Halbmarathon erfolgreich absolviert hat. Achja… ich bin schon für 2019 angemeldet. Ich freue mich sehr auf den Lauf. Mal schauen, welche Geschichte dann erlebt werden darf.