Vorgeschichte 2012
Oktober 2012:
Der Sturm Sandy rast mit voller Kraft über New York, zerstört dabei große Teile von Staten Island und tötete dutzende Menschen. Es ist fraglich, ob der New York Marathon 2012 überhaupt stattfindet. Die Flughäfen in und um New York City sind geschlossen. Nach langem hin und her hieß es, der Lauf würde auf jeden Fall stattfinden.
November 2012:
Mein Flug war einer der ersten, die überhaupt wieder den JFK Flughafen ansteuerten. Alles schien zu werden, doch knappe 36 Stunden vor dem Start wurde der Lauf doch noch abgesagt, nachdem 40.000 von 50.000 Teilnehmern angereist waren. Es war einer der tiefsten Enttäuschungen, die ich je erlebt habe. Es tat mir auch um meine Begleitung Luisa leid, die mitkam, um mich zu unterstützen und im Vorfeld große Sorgen und Bedenken kundtat. Wir haben damals versucht das Beste draus zu machen und einige Tage in New York mit ihr verbracht. Was sollten wir auch machen.
Es war am Morgen nach der Absage. Genauer war es der 2. November 2012, ca um 07:30 Uhr Morgens, als ich mit den deutschen Mitgereisten in meinem Hotel (Holiday Inn) in Richtung Central Park lief. Wir kamen gerade am Park an, als dieser seit dem Sturm wiedereröffnet wurde. Wir liefen direkt rein. Ca. 2000 laufende trafen wir dort. Wir bejubelten uns gegenseitig, was enorm viel Trost für mich bedeutete. Plötzlich, hinter einer Kurve erschien das „Mile 24“ Schild. In genau diesem Moment beschloss ich 2013 wieder zukommen. Dieser Beschluss wurde noch weiter gestärkt, als ich am Ende vor dem abgesperrten Ziel stand. Es war alles sehr bitter.
Es gibt von diesem Samstagmorgen auch Bilder, da unser Reiseleiter den Fotografen kannte. Zumindest bin ich auf mindesten einem Bild mit drauf:
http://www.achim-achilles.de/fotostrecken/fotos-rund-ums-laufen/laeufer-erobern-new-yorker-central-park.html#155-03112012tw0176
Direkt nach meiner Ankunft in Deutschland fragte ich Juliane, eine Freundin und meine Marathonpartnerin, ob sie mich 2013 zum New York City Marathon begleiten und mit laufen wolle. Sie sagte mir wenige Tage später zu. Nochmals wenige Tage später, noch im November 2012, war unsere Anmeldung und Buchung vollständig unterschrieben.
Vorgeschichte 2013:
In mir herrschten ein großer Zweifel und eine große Hoffnung. Noch eine Woche vor dem Lauf litt ich unter einem Virus. Erst am 28. Oktober, drei Tage vor dem Abflug, erhielt das Okay von meiner Ärztin fliegen und starten zu dürfen. Leute, ich sage es euch mit aller Deutlichkeit, was ein Drama!
Donnerstag, 31. Oktober 2013:
Wir kamen mittags in New York an. Wir gingen direkt ins Hotel und sofort weiter zur Startnummerausgabe. Der erste Schritt war getan.
Freitag, 01. November 2013:
Am Abend war die Eröffnungsfeier am Ziel, wo die meisten teilnehmenden Nationen vorgestellt wurden mit Flaggen, Teilnehmeranzahl und dergleichen. Es war sehr voll, sehr atmosphärisch und erzeugte das erste Mal richtig ein Kribbeln im Bauch. Diese Veranstaltung fand 2012 nicht statt und so ging langsam der permanente Zweifel, dass es doch noch ausfällt.
Samstag, 02. November 2013:
Am Samstag waren wir bei der Pasta Party und es war eine Party, wirklich. Man betrat das Zelt und jeder Läufer wurde direkt von einer Gruppe Frauen bejubelt, mit Laola-Welle und aufbauenden Phrasen riefen. Man war sofort mit drin und ich wusste nicht, was mit mir da geschieht, aber es war auf seine Weise großartig. Alle fragten einen woher man käme, ob man sich gut fühle und bestätigte wie großartig der Lauf sei. Man witzelte, scherzte und bekam ein echt leckeres Essen. Am Tisch bei uns saßen zwei New Yorkerinnen, eines deutsches Ehepaar, beide über 70, und zwei Franzosen. Man unterhielt sich in Englisch und tauschte Erfahrungen und Erwartungen aus. Es war so entspannt, so gelassen, einfach großartig. Es waren nun nur noch wenige Stunden bis zum Start.
Der Lauf, Sonntag 03. November 2013:
04:40 Uhr:
Ich wache auf vor Anspannung und Vorfreude, ohne Wecker, denn der klingelt erst um 04:45 Uhr. Ich sehe mich um, und ohne mich zu wundern ist es dunkel. Ich bleibe liegen und in den nächsten 5 Minuten höre ich verschiedene Wecker vom Flur und muss schmunzeln.
04:45 Uhr:
Ich wecke Juliane. Sie meint, ihr Wecker klingelt sofort, doch das tut er nicht. Sie hat den Blockiermodus an und bei ihr war es eingestellt, dass er auch den Wecker blockt. Wir stehen auf und bereiten uns auf den Marathon vor. Es ist wie immer eine kleines Ritual die Vereinskleidung anzuziehen.
05:45 Uhr:
Wir hetzen zum Bus.
06:00 Uhr:
Es ist dunkel, doch wir haben den Shuttle-Bus zum Startbereich erreicht. Er fährt ab. Es ist immer noch dunkel und still. Ein älterer Herr kommt aus McDonalds, welches direkt gegenüber unserem Hotel ist und bejubelt uns, als er sah, dass wir alles Marathonläufer im Bus sind. Es kribbelt immer stärker in mir und ich winke, wie viele andere, dem Mann zurück. Noch ca. 4 Stunden bis zum Start.
07:00 Uhr:
Es ist mittlerweile hell und wir stehen auf der Verrazano Bridge, die viele aus dem Fernseher kennen, weil der Start dort ist. Rechts unter uns ist das Läufer/Sportlerdorf. Doch noch müssen wir warten, bis wir aussteigen dürfen.
07:17 Uhr:
Wir steigen tatsächlich aus. Meine Anspannung steigt langsam. Wir befinden uns in einer langen Schlange, die in Taschenkontrollen, Hand-Detektoren, und Startnummer-Checks endet. Nachdem alles erledigt ist, orientieren wir uns an der Farbe unserer Startnummer, diese ist Orange, also müssen wir ins Orange Läuferdorf. Hinweis: Es gibt drei Farben, die später noch für den Start wichtig werden. Das Starterfeld wird am Anfang gedrittelt und jede Farbe hat seinen eigenen Streckenverlauf für die ersten 8 Meilen (ca. 14 km).
07:40 Uhr:
Endlich sind wir im orangenen Läuferdorf. Sofort schiebt man uns eine Mütze von Dunkin und Donats zu. Wir nehmen alles, denn es ist Arschkalt. Wir haben 7 Grad und es gibt einen sehr kalter Wind. Wir verschaffen uns einen Überblick über das Frühstücksangebot. Es gibt Kaffee, Elektrolyt-Getränke, Wasser, Energie-Riegel und Bagel. Bei mir reicht ein halber Liter Flüssigkeit, 2 Bagel, 2 Energieriegel und ich bin Papp satt. Sonst gibt es ja immer noch etwas zu Essen auf der Strecke. Soviel vorweg: Dies war ein schrecklicher Irrtum.
08:20 Uhr:
Juliane und ich sind mittlerweile durchgefroren, aber immerhin satt. Ich entschließe mich zu einem Kleidungswechsel direkt im Dorf und ziehe mir unter alle Schichten (4 bis dato) noch ein Läufer-Longsleeve an, welches ich später auch während des Marathons tragen werde. Mir ist das alles zu kalt für kurzes Hemd.
8:30 Uhr:
Wir entschließen uns zum Gruppen-Kuscheln in einem der Zelte, wo es eh keine Bänke und Tische gibt. Wir sitzen mit unzähligen Läufern in diesem Zelt, dicht gedrängt. Aber es gibt keinen Wind und es dadurch gleich viel Wärmer. Parallel starten die Handbiker und die Startzone wird für die Profi-Frauen aufgemacht. Es wird ernst, noch ca. 1,5 Stunden. Die Profi-Männer und die Wave 1 Starter müssen nun sich entsprechend ihrer Corall einchecken. Was das ist? Das sehr ihr gleich noch. 🙂
09:00 Uhr:
Die Coralls für Wave 1 schließen. Das bedeutet, dass die Coralls für Welle 2 aufmachen. Wir entschließen uns meine Tasche abzugeben, aufs Dixi zu gehen und zu unserem Corall-Check In zu gehen. Jetzt wird es ernst.
09:05 Uhr:
Die Tasche ist bei UPS sicher abgegeben.
09:10 Uhr:
Ich bin auf dem Dixi und die Profi-Frauen starten.
09:15 Uhr:
Wir suchen unseren Corall Check-In und es gibt riesen Schlagen. Aber was ist das nun? Wie gesagt, dienen die Farben der Startnummer für die Strecke der ersten 8 Meilen. Die Coralls sind der farbliche Vor-Checkin um in die richtige Spur kommen. Dabei wurden die Startnummern in 1000er Schritten immer durch nur eine Tür gelassen. So waren niedrige 25000 Nummern nah zur Startlinie und weit vorne, jedoch 29000 und 30000 Nummern eher hinten eingegliedert. Wir suchen unsere Tür und stehen erst einmal wieder und frieren.
09:30 Uhr:
Wir stehen im Corall-Bereich. Vor uns geschlossene Maschendrahtzäune und Tore. Darüber ein großer Monitor. Nur wenige Läufer stehen vor und sehr viele hinter uns. Am meisten hören und sehen wir Franzosen.
09:35 Uhr:
Unser Corall-Bereich wird geschlossen. Oh mein Gott. Oh mein Gott. Stehe ich wirklich hier? Oh mein Gott. Jetzt gibt es kein Zurück.
09:40 Uhr:
Zwei Kanonenschüsse. Die Welle 1 darf los. Oh mein Gott…
09:48 Uhr:
Unserer Gitter gehen auf. Die letzten Schichten an Kleidung, die ich eh spenden wollte, ziehe ich aus und schmeiße sie in die entsprechenden Container. Es geht zum Startbereich. Sehr viele NYPD Polizisten stehen an der Seite und lächelt uns an. Sie klatschen, motivieren und sind sehr höflich. Der Wahnsinn. Es gibt erst eine scharfe Rechtskurve und dann eine 180 Gradkurve nach links. Diese Bilder, wie Links und Rechts von mir die anderen abgetrennten Coralls auf deren Spuren einmarschieren ist der absolute Wahnsinn. Wir stehen am Start. Vielleicht 20 Meter vor uns ist die Startlinie und danach die Verrazano Bridge. Diese Anspannung und Vorfreude ist unvorstellbar. Wir werden über die Boxen begrüßt. Es gibt es kurzen Abriss der New York City Marathon Geschichte. Dann viel blabla. Die Rolling Stones singen ein Lied von der Platte, gefolgt von noch mehr blabla. Dann singt irgendwer live ein Amerika Lied, wie toll dieses Land ist.
10:03 Uhr:
Noch 2 Minuten bis zum Start. Es folgt nach dem Amerika Lied, wieder etwas blabla. Was hatte ich am Vorabend gelesen? 2 Millionen Zuschauer werden erwartet. Wahnsinn. Juliane neben mir scheint ähnlich angespannt zu sein.
10:05 Uhr, Start:
Die Kanonenschüsse werden begleitet von einer in dem Moment live gesungenen Version von „New York“ von Frank Sinatra. Wer der Sänger ist, weiß ich nicht. Die Strecke ist frei für uns und als ich den 1. Schritt über die Startlinie setze, kann ich es immer noch nicht fassen. Liebe Leute da draußen: Ich laufe den New York Marathon. Keine 20 Sekunden später wird Juliane genau diese Gedanken laut aussprechen, was mich zum Lachen bringen, denn noch breiter Grinsen kann ich in dem Moment nicht!
Mile 0 bis Mile 1:
Wir laufen auf der Verrazano Bridge. Krass. Um uns herum kreisen 2-3 NYPD Hubschrauber. Unten ist ein Boot, welches Wasser-Fontänen zur Begrüßung wirft und wir haben einen unfassbaren Ausblick auf die Skyline von New York und auf Brooklyn, welches direkt vor uns liegt.
Mile 1:
Wir machen einige Fotos, um diesen Moment fest zu halten. Man sagte uns vor dem Lauf: Nicht auf der Brücke pinkeln. An dem 1. größeren Pfeiler, ca. bei Mile 1, steht ein NYPD Fahrzeug, was die Läufer aber nicht abhält trotzdem genau da zu pinkeln. Die Polizisten grinsen nur, aber mal ehrlich: Was sollen sie auch machen?
Es ist ziemlich windig und da wir uns nicht aufwärmen konnten, merkt man nun sehr deutlich, dass die Muskulatur noch kalt ist. Wir bleiben locker und laufen langsam an.
Mile 2:
Wir verlassen die Verrazano Bridge und betreten Brooklyn und verlassen somit auch Staten Island. Es sei hier kurz erwähnt, dass der New York City Marathon durch alle 5 Stadtteile geht. An genau der 2 Mile Grenze überschneiden sich alle Coralls und trennen sich dann in ihre Richtungen auf. Mit uns ab Mile 2,5 läuft der blaue Corall. Auch ist hier die erste Live Band. New York City Marathon rühmte sich im Vorfeld die höchste Banddichte zu haben und das war sie. Es folgten ca. alle 300 bis 500 Meter eine Live Band!
Mile 3 / Km 4,8:
So langsam wird mir warm. Der erste Getränkepunkt naht und die Leute machen eine unglaubliche Stimmung. Die Feuerwehr ist voll dabei und auch der NYPD ist am Klatschen, anfeuern und zurufen dabei. Einer zeigt auf mich und ruft „Great“, ich zeige auf ihn zurück und lächle und nicke, mit einem Daumen hoch.
Mile 4:
Ich sehe, dass das schon alles Fassade ist, wo wir langlaufen. In einigen Nebenstraßen sieht man deutlich verfallende Gebäude. Aber das ist mir in diesem Moment auch einerlei.
Mile 5:
Ich sehe wie ein älterer Herr mit Krückstock und Startnummer von zwei jungen Männern mit Startnummern gestützt werden. Ich drehe mich um, und klatsche ihnen zu. Andere klopfen ihnen auf die Schultern. Das sind die emotionalen Momente bei einem Marathon, bei denen ich mir denke: Diese friedlichen, hilfsbereiten Momente sehe ich sehr oft auf einem Marathon, aber wieso so selten außerhalb?
Mile 6 / Km 9,6:
Wir haben unser Tempo gefunden. Bei 10 km sind wir bei ca. 54 Minuten. Wir laufen sehr entspannt und locker ab. Die Strecke ist sehr hügelig. Das ist aber nicht schlimm. Die Bewohner aus Brooklyn (Brooklyner?) machen unheimlich gute Stimmung und die Bands rocken. Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich nach rechts und links schaue und einfach „Oh mein Gott.“, „Unglaublich“, „Wahnsinn“, „Bin ich wirklich hier?“ sage.
Mile 7:
Oh mein Gott. Oh mein Gott… Kann mir jemand gerade sagen, wo ich bin? 😀 Wahnsinn. Es ist unheimlich, wie viel Stimmung an der Strecke ist, wie Fremde einen sofort pushen und dich an der Strecke entlang treiben. Ein kleiner Junge von vielleicht 6 oder 7 Jahren lacht die ganze Zeit und hält ein Schild hoch „Free hugs“.
Mile 8:
Die Strecke wird plötzlich richtig voll, alle Coralls fusionieren zu einem Läuferfeld. Endlich sind die Läufer vereint auf einem Kurs. Auch das Publik nimmt noch einmal an Masse zu.
Mile 9:
Wir laufen an einem Park vorbei. Ich schaue kurz rüber und sehe ein Barbecue auf dem Bürgersteig. Ich zeige es Juliane und muss lachen.
Mile 10:
Wir sind immer noch in Brooklyn. Plötzliche sehe ich einen Mann in einem Rollstuhl mit einer Startnummer. Ich sehe keine Beine, nur einen ausgebildeten Arm. Er brabbelt und spuckt, ich verstehe nicht ein Wort. Das muss ich auch nicht, denn trotzdem ist es deutlich zu erkennen, dass er lacht. Ich bin durch einen Marathon, besonders diesen, eh schon immer recht emotional. Und so macht mich dieser Moment auf der einen Seite traurig, aber auch irgendwie ist er voller Freude. Ich kann mich nicht halten und klopfe einer der Frauen, die den Rollstuhl ziehen auf die Schulter und nicke ihr mit einem leisen: „Great“ zu. Sie sieht mich kurz, doch sie und die anderen Supporterinnen dieses Mannes werden von allen Seiten so bejubelt, dass sie gar nicht weiß wo sie hingucken soll.
Nach dem Rennen lese ich einen offiziellen Artikel, dass neben diesen Teilnehmern auch Personen mit MS oder Down Syndrom erfolgreich den New York Marathon beendet haben.
http://www.huffingtonpost.com/2013/11/04/new-york-marathon-down-syndrome_n_4214496.html
http://newyork.cbslocal.com/2013/11/04/woman-suffering-from-ms-completes-25th-nyc-marathon/
Mile 11:
Wir sind jetzt zwischen 15 km und 20 km und normalerweise gibt es nun Essen an den Verpflegungsstellen. Da ich oft unter Magenkrämpfen leide, wenn ich nichts esse während eines Marathons, vermisse ich es sehr, dass es keine Bananen gibt.
Mile 12:
Jede Mile ein Getränkepunkt und kein Essen… ALTER Ich will eine Banane… Wir sind mittlerweile in Queens. Nicht sehr spannend hier. Es ist ein Mix aus Vorstadt und Industrie-Viertel. Nicht sehr schön und zu dem ist hier kaum Publikum. Es wird endlich mal etwas ruhiger und man kann einen Moment durchatmen. So toll Publikum ist, meine Güte können Sie einen peitschen und antreiben.
Mile 13.1 (Halbmarathon 21,0975 km):
Okay… okay es gibt keine Bananen. Ich habe es verstanden. Wir sind bei bei ca. 1:56 Stunden und laufen auf die Pulaski Bridge. Alles ganz entspannt. 🙂 Juliane dreht sich kurz zu mir um und sagt: „Ich will nicht, dass die Hälfte schon vorbei ist.“ Ich verstehe sehr gut, was sie meint.
Mile 14:
In einem Arztzelt erspähe ich den ersten Abbrecher. Wie aus dem Nichts ist plötzlich Publikum da und davon nicht zu wenig. Wo kamen die her? Egal. Es endet auch wieder sehr plötzlich. Wir betreten die 59th Bridge, die rüber nach Manhattan führt. Manhattan? Was da wohl abgeht?
Mile 15:
Die Brücken sind so langweilig und wegen der Steigung auch recht hart. Naja es gibt bei Mile 15 eigentlich genau zwei Sachen, die interessant waren: Das neue World Trade Center auf der linken Seite und ein Läufer der ganz locker lief und mit zwei Basketbälle drippelte. Moment, ich drehe mich noch einmal um und sehe es: Tatsächlich… Einige brauchen noch weitere Herausforderung. Er wird unter den Läufern ziemlich gefeiert.
Mile 16 / Km 25:
Alter … Wahnsinn… Wir sehen auf eine sehr scharfe 270 Grad Linkskurve vor uns. Es ist Manhattan und es toppt jetzt schon alles. Es ist voll, es ist laut, es ist Stimmung, es ist Party, es ist Marathon. Juliane macht einige Fotos und wir laufen weiter. In dieser Linkskurve sehe ich die erste Deutschlandflagge. In diesem Moment, völlig losgelöst von Hemmungen, renne ich zur Absperrung und bejuble die deutschen, so wie ich es danach immer machen werde und sie jubeln genauso zurück. Wir sind in Manhattan und in genau diesem Moment, als ich auf der 1st Avenue lief und in eine unglaublich lange, gerade Straße vor mir sah mit unzähligen, gar Tausenden Zuschauern und Läufern, wusste ich zwei Dinge: 1.) Es erklärt sich von selbst, warum dieser Lauf so besonders ist, und 2.) Das es so schnell kein Marathon mehr geben kann, der dies toppt. Egal. Ich habe eh aufgehört zu zählen, wie oft ich „Oh mein Gott“, „Wahnsinn“, „Unglaublich“ gesagt habe. Ich tue es nur noch. Die Bilder brennen sich in meinen Kopf ein und ich hoffe, sie nie mehr zu vergessen.
Mile 17-19:
Es bleibt unverändert: Menschenmassen, tausende die jubeln, die feiern, die Laufen. Irgendwann zwischen durch laufen drei normal gekleidete Frauen mit uns, ohne Startnummer. Sie sind dabei etwas hysterisch und laut. Vielleicht hätten sie in ihren hohen Schuhen, das mal vom Start weg machen sollen. 😉 Beruhigt ungemein.
Mile 20:
Es geht über die Willis Avenue Bridge. Danach laufen mittlerweile in der Bronx. Wenig Publikum, einige Rapper hier und da, die nicht schlecht sind. Es wirkt hier sehr ernüchternd, wenn man aus der Party Meile in Manhattan kommt. Aber damit waren wir zumindest in allen fünf Stadtteilen.
Mile 21:
Als wir zurück nach Manhattan über die The 3rd Avenue Bridge laufen, die direkt in die berühmte 5th Avenue endet ist mir klar: ‚Das war es. Es geht -Heim-‘. Von wegen… die 5th Avenue wird ein langer … sehr langer und sehr hügliger Weg sein. Beim restlichen Lauf wurde klar, dass mir die Erfahrung auf dem Hermannslauf gut tun sollte. Denn dort wird es bekanntlich auch noch einmal richtig hügelig zum Ende.
Mile 22:
Irgendwo bei Kilometer 35 bekomme ich endlich eine Banane. Wahnsinn! Laufen, Banane öffnen, Kauen, kurzer Wortwechsel über die körperliche Verfassung mit Juliane. Sie versteht nicht, dass ich nun Banane essen kann. Egal, ich meistere alles parallel und es geht mir gut.
Mile 23:
Ca. bei Kilometer 37 Laufen wir noch einmal Spalier. Das heißt, es gibt eine künstliche Verengung der Straße, so dass man fast nur 2 Meter breite hat und ganz eng durch das Publikum läuft. Ich fühle mich sofort an die Panzerstraße beim Hermannslauf erinnert und muss grinsen. Doch kurz darauf biegen wir rechts in den Central Park und ich muss fast weinen.
Mile 24:
Als wir in den Central Park einbiegen ist mir sofort klar, wo wir sind. Ich wusste, dass direkt vor uns das „Mile 24“ Schild kommen wird. Genau an diesem Ort ist 2012 etwas wundervolles passiert und die ganzen Emotionen von 2012 kamen in mir hoch.
Am Samstagmorgen wenige Stunden nach der Absage des New York Marathon 2012 liefen wir durch den Central Park. Dabei liefen wir durch den Park zur Mile 24 und von dort ins Ziel. Genau hier an Mile 24 passierte es, das uns sehr viele Läufer entgegen kamen und uns zujubelte. Wir jubelten zurück und ich wusste sofort, dass es die Art und Weise ist, mit der man sich am besten Trost spenden konnte, denn wir alle waren einfach enttäuscht. Nur Aufgeben sollte man nie. Genau an diesem Punkt beschloss ich 2012, dass ich 2013 wieder kommen werde.
Diese Trauer, Hoffnung gemischt mit der Entscheidung wieder zukommen kam in diesem Moment hoch, als Juliane und ich dort lang liefen. Ebenso kam das Gefühl von Glück dazu, welches ich empfand. Es waren sehr viele Emotionen auf einmal, und ich gestehe wirklich, dass ich den Tränen sehr nah war. All dies hinderte mich nicht das Tempo zu reduzieren.
Vor genau einem Jahr sagte ich hier zu einem Ehepaar: -Das wäre es fast gewesen, wenn wir gestartet wären.- Jetzt dachte ich -Das ist es, nicht nur fast. Nur nicht aufgeben.-
Ich teile mich Juliane mit und füge bei, dass wir irgendwo bei 3:55h ins Ziel kämen. Das wiederum motiviert sie und ich muss anfangen, sie zu bremsen. Das Tempo war für mich ok, aber draufpacken konnte ich nichts mehr, da mein Magen etwas rebellierte, weil er zu wenig zu essen bekam.
Mile 25:
Immer noch im Central Park erschien plötzlich das Schild Mile 25. Noch 2 km bis zum Ziel und ca. 40,2 km lagen hinter uns. Mir geht es immer noch sehr gut. Meine linke Wade muckte sehr leicht, aber nichts weswegen ich mir sorgen machen müsste. Meinen Magen habe ich im Griff, solange wir keine Verschärfung des Tempos durchführen. Juliane will immer schneller und immer wieder bremse ich sie. Ich glaube aber, sie nimmt es mir nicht übel. Wir verlassen den Central Park und gehen zurück zur 5th Avenue. Es dauert noch einige Meter bis wir rechts in die 60th Street einbiegen. Das ist die Straße, die südlich den Central Parks ist. Was für Menschenmassen an Zuschauern. Noch einmal wird alles getoppt. Es ist unbeschreiblich, es ist so emotional und ich ahne, dass der wahre Höhepunkt gleich erst käme. Nach einigen Hundert Metern biegen wir wieder in den Central Park ein. Das Finale kommt.
Mile 26:
Vor uns war ein riesiges Flaggenmeer, so ca. 120? 150? Auf jeden Fall so ziemlich alle, der teilnehmenden Nationen. Dazu kamen noch Tribünen und eine unglaubliche Stimmung. Es ergreift uns Beide.
Mile 26,2 Ziel:
Da erscheint es: Das Ziel des New York City Marathons. Ich vergesse in diesem Moment alles, bin völlig ungehemmt und schließe meine Augen. Ich reiße meine Arme nach oben und schreie mir die Seele aus dem Leib. Ich bin angekommen und habe den New York City Marathon erlebt. Der Wahnsinn, verrückt und ich kann es nicht glauben. Ich bin mir sicher, dass ich noch Tage brauchen werde, bis ich all das realisiere. Ich sollte damit Recht behalten.
Ich öffne wieder die Augen, denn ich möchte nicht gegen eine der Absperrungen laufen. Ich übertrete die Ziellinie. Ich beende die Aufzeichnung und gehe einige Schritte. Dann nehme ich kurz Juliane in den Arm, danke ihr für das Teilen dieser Erfahrung. Ein älterer Herr klopft mir auf die Schulter. Er ist so um die 50 oder 60. Sagt auf Deutsch, wie groß er das Rennen fand. Ich stimme ihm zu. Wir umarmen uns einfach. Er umarmt danach auch Juliane. Wir sind einfach nur glücklich und alle überwältigt. Alle im Ziel sind überglücklich und sehr viele weinen. Ja, Juliane und ich gehören dazu.
Wir erhalten unsere Medaillen. Eine der Austeilerinnen erkennt, dass ich deutscher bin und spricht mich an. Sie käme aus Stuttgart, bewundert den Lauf. Ich stimme ihr zu, schaffe aber nicht mehr zu sagen. Ich bin völlig überwältigt und sprachlos. Es tut mir etwas leid; hätte mich gerne länger mir ihr unterhalten.
Wir kommen zur Fotowand und machen ein gemeinsames Foto. Danach heißt es nur noch zu den UPS Wagen und mein Paket wieder abholen. Es wird ein langer Weg, wo selbst dort die Leute noch Party machen, und alle Beglückwünschen. Es wird unter den Läufern stiller. Alle sind erschöpft, gut drauf aber auch nachdenklich.
Später bei der U-Bahn, hält uns und anderen Läufern ein NYPD Polizist die Absperrung auf. Ein Ticket brauchen wir nicht zu kaufen. Er lächelt uns an und wir setzen uns in die U-Bahn und fahren zurück ins Hotel.
Egal, ob auf der Straße oder in der U-Bahn. Die Leute beglückwünschen alle Läufer, sprechen Sie an. Fragen, wie es war, wie großartig ist doch sei ein Marathon zu laufen und besonders diesen. Es ist die typische Oberflächigkeit, aber in diesem Moment genieße ich sie.
In diesem Moment würde ich alles genießen. Das ist nach jedem Marathon so, aber dieses Mal ist es besonders intensiv. Ich bin glücklich, denn ich habe mir einen Lebenstraum erfüllt.
Daniel Katzberg
10.11.2013
16:51 Uhr (erste Fassung)